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Antonatea Stefanowa gewinnt vierte Partie gegen Anna Uschenina und gleicht zum 2:2 aus
Wie wird man eine alles entscheidende letzte Partie in einem WM-Duell spielen? Vor dieser Frage standen am Donnerstag die beiden Protagonistinnen der Frauen-K.o.-Weltmeisterschaft in Chanty Mansijsk. Antoaneta Stefanowa (im Foto rechts) musste dabei unbedingt gewinnen, um zumindest erst einmal die Verlängerung mit Schnell- und Blitzschach zu erzwingen, während Anna Unschenina angesichts ihrer 2:1-Führung schon mit einem Unentschieden neue Weltmeistern wäre.
Aber kann man denn überhaupt quasi auf Bestellung auf ein Remis spielen? Mir fällt da sofort die Männer-Weltmeisterschaft 1987 ein. Auf der Bühne des Lope-de-Vega-Theaters der alten andalusischen Stadt Sevilla ereignete sich ein wahres Schachdrama mit den Hauptdarstellern Garri Kasparow und seinem damaligen Dauer-Herausforderer Anatoli Karpow. Der Exweltmeister lag nach seinem Sieg in der 23. Partie mit 12:11 in Führung und brauchte in der alles entscheidenden 24 Begegnung am 19. Dezember lediglich einen halben Punkt, um Schachkönig Garri vom Thron zu stoßen. „Doch dieser wählte in
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der für ihn überhaus schwierigen Lage einen überraschend kluge Taktik: Er spielte ruhig, forcierte die Ereignisse nicht und bemühte sich, minimale Vorteile anzusammeln, um dann zum entscheidenden Schlag auszuholen. So folgte Abtausch auf Abtausch, immer weniger Figuren blieben auf dem Brett, und es war nicht ersichtlich, wie denn Kasparow noch den für ich notwendigen Sieg holen sollte. Doch in jener Lage, wo der ersehnte Rückgewinn des Weltmeistertitels in greifbare Nähe rückte, kam Anatoli Karpow in haarsträubend Zeitnot. Für die letzten zehn Züge hatte er noch ganze 90 Sekunden zur Verfügung.
Wie die Diagrammstellung zeigt, war es für ihn alles andere als einfach nicht fehlzugreifen.
31. Se5! Sxa5
Der erste Fehler. Karpow musste unbedingt 31…Dxa4 32.Dxb6 Da3 spielen. Es ist nicht zu sehen, wie Weiß dann weiter vorwärts kommt.
32.Txc8+ Sxc8 33.Dd1
Dieser Damenzug hätte Kasparow den WM-Titel kosten können. Bedeutend stärker ist 33.Db5! Karpow, der in kritischen Momenten seine Selbstbeherrschung stets bewahrt, zumindest äußerlich, verlor sie diesmal. Bald hob er die Hand für einen Zug, bald ließ er davon ab und richtete seinen Blick auf die Uhr , wo die wertvollen Sekunden verrannen…
33…Se7??
Dieser falsche Springerzug verwehrt Karpow die Rückkehr auf den Schachthron. Nach 33…Sc5! – diesen Zug übersahen beide in der Hitze des Gefechtes – konnte Titelverteidiger Garri Kasparow auf nicht mehr als Remis hoffen" so eine Textpassage aus dem Buch Das Schachgenie Karpow" (Autor: Viktor Baturinski), das 1991 im Sportverlag Berlin erschien und von mir als Lektor betreut wurde.
Doch das russische Chanty Mansijsk ist natürlich nicht Sevilla. Und im Vergleich zu den 24 WM-Partien bei den Männer, waren für die Frauen nach fünf Minimatches im Finale lediglich vier Begegnungen im Normalschach angesetzt. Die Niederlage für Antoaneta Stefanowa in der dritten Partie tags zuvor war also ein unglaublich schwer Hypothek, denn um im Kampf um die Schachkrone zurück zu sein, zählte für sie jetzt nur der Sieg. Für ihre ukrainische Kontrahentin hingegen würde es dagegen ganz entscheidend sein, sich selbst treu zu bleiben, also keineswegs auf remis zu spielen, weil das einfach nicht funktionieren kann. Vorausgesetzt man trifft auf einen Gegnerin in bester psychischer und physischer Verfassung, die vor allem ihre Emotionen unter Kontrolle hat, denn sie sind bekanntlich im Frauenschach häufig die Ursache für entscheidende Fehler.
Die kritische Stellung, wie CHESS-TV-Kommentator Alexander Chalifman bemerkte, war nach dem 19. Zug von Weiß erreicht, denn die Bulgarin hatte mit 19.Sce2 eine sehr aggressive Plan gewählt. Sollte und durfte Schwarz hier mit der Dame auf f2 sich einen Bauern einverleiben, und wenn ja, was würde der Preis dafür sein?
Nun, sie verzichtete auf 19…Dxf2 und platzierte nach langem Nachdenken ihre Dame auf b8 (19…Db8). „Es dürfte meiner Meinung nicht so einfach sein, Möglichkeiten für einen Angriff zu finden, aber wie kann Schwarz zu Konterchancen kommen?", fragte der erste FIDE-K.o.-Weltmeister von 1999 in seinem Live-Kommentar. Um nach 20.Sg3 Se5 21.Lf1 Tc8? (21…Da7) nachzuschieben: „Weiß ist sehr dicht dran, diese Partie zu gewinnen!"
Fakt ist, dass ein Königsangriff positionell vorbereitet werden muss und laut dem ersten Weltmeister der Schachgeschichte Wilhelm Steinitz derjenige aktive Maßnahmen einleiten übergehen muss, der einen positionellen Vorteil erreicht hat. Und genau so ging die Exweltmeisterin in jenem Moment konsequent vor, als das Kräfteverhältnis gestört war! Es mussten eigentlich nur noch ihre Nerven halten, denn die Höchstanspannung dürfte nicht zu beschreiben sein. Bei einem Sieg war sie wieder im Match, und in der Verlängerung, die dann den WM-Titelkampf entscheiden würde, ist alles möglich – siehe die Glanzvorstellung von Monika Socko (Polen) gegen die Titelverteidigerin Hou Yifan.
„Großen Respekt vor Antoaneta Stefanowa!", lobte Alexander Chalifman die 33-Jährige Bulgarin. „Der Preis für diese Partie ist extrem hoch!" Und nach dem 25….Sg6 konstanierte er: „Ein absolute Traumstellung für Weiß…"
Aber eine gewonnene Partie muss erst gewonnen werden, und genau das wurde urplötzlich das Problem von Antoaneta. Mit 30.Sd6? war es nun an ihr, eine fehlerhafte Fortsetzung zu wählen, und wer weiß, was passiert wäre, wenn Anna nach 30…Td8 31.Td2 den richtigen Läuferzug 31…La8 gefunden und nicht wie von allen guten Geistern verlassen 31…Lb1?? aufs Brett gebracht hätte? Die nächste Chance mit 32.Sxf7! die Entscheidung zu ihren Gunsten herbei zu führen und damit den Tiebreak zu erzwingen, ließ sich jedenfalls Antoaneta nicht entgehen.
Nun, Anna Uschenina verlor zwar diese für sie ganz wichtige Partie, aber eben nicht das WM-Match, und das ist sicher die Botschaft an ihre Fans nicht nur in der Ukraine. Die Weltmeisterschaft wird nun also am morgigen Sonnabend in der Verlängerung entschieden, und es fragt sich dann sicher nicht, wer da die bessere Spielerin sein wird, sondern wohl eher die glücklichere…
Raymund Stolze
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